Die Unternehmensstrategie der voestalpine ist ausgerichtet auf Innovations-, Technologie- und Qualitätsführerschaft. Die kontinuierliche Entwicklung neuer Produkte und Produktionsprozesse erachtet der Konzern als unverzichtbar, um sich im Wettbewerb abzuheben und seine technologische Führungsrolle zu behaupten. Der Forschung und Entwicklung kommt somit eine zentrale Rolle im Geschäftsmodell der voestalpine zu, indem sie über F&E-getriebene Innovationen den Erfolg des Unternehmens langfristig sichert. Zentral im Sinne der Zukunftskompetenz ist dabei der Anspruch, dass 100 % aller F&E-Projekte in der Produkt- und Prozessentwicklung einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten.
Forschungsaufwendungen des voestalpine-Konzerns
Nach dem Rückgang im Krisenjahr 2020/21 steigen der Aufwand für Forschung und Entwicklung im Geschäftsjahr 2021/22 sowie der Budgetwert für das Geschäftsjahr 2022/23 auf neue Höchststände. Das setzt den Trend der vorangegangenen Jahre fort und spiegelt die hohe Wertigkeit der Forschung und Entwicklung im Konzern wider.
Organisation der Forschung und Entwicklung im voestalpine-Konzern
Der Bereich Forschung und Entwicklung ist dezentral über mehr als 75 Unternehmen des voestalpine-Konzerns weltweit organisiert. Mit der daraus resultierenden Nähe zum jeweiligen Betrieb und Markt umfasst er vorrangig die Produkt- und Technologieentwicklung. Daneben betreibt die voestalpine umfangreiche Anwendungsprojekte und intensive Grundlagenforschung mit einer Vielzahl nationaler und internationaler Partner.
Globale Megatrends in den Bereichen Technologie und Umwelt bilden die Grundlage, aus der sich die strategiebestimmenden, langfristigen Entwicklungen für die Divisionen ableiten. Die mittelfristige Planung wird in den F&E-Roadmaps detailliert abgebildet und laufend aktualisiert.
Stufenplan zur Klimaneutralen Stahlerzeugung
Klimaneutral bis 2050 – so lautet das im Green Deal der Europäischen Union festgelegte Klimaziel. Entsprechend hoch ist damit der regulatorische Druck auf die europäische Stahlindustrie, der aktuell über 6 % der EU-weiten CO2-Emissionen aus fossilen Energieträgern zugerechnet werden. Auch auf den Märkten, speziell in der Automobilindustrie, wird in den letzten Jahren die Forderung nach möglichst klimaneutral hergestellten Stahlprodukten immer lauter.
Mit „greentec steel“ verfolgt die voestalpine einen ambitionierten Stufenplan zur langfristigen Dekarbonisierung der Stahlerzeugung. Im ersten Schritt bietet der Konzern nunmehr alle Flachstahlprodukte, die von der in Linz angesiedelten Steel Division produziert werden, auch in einer CO2-reduzierten Ausführung an. Die direkte CO2-Einsparung von rund 10 % gegenüber der konventionellen Produktionsweise ergibt sich aus Anpassungen der Reduktionsmittel und des Rohstoffmixes sowie aus der Umstellung auf reinen Ökostrom. Uneingeschränkt gewahrt bleibt dabei die exzellente Qualität, die Kunden im Hinblick auf die Werkstoff- und Verarbeitungseigenschaften erwarten. Neben den bereits eingegangenen Bestellungen zeichnet sich auch für die Zukunft eine hohe Nachfrage nach anspruchsvollen Stahlprodukten in der „greentec steel“-Edition ab, wie z. B. für warmgewalzte Stahlbänder, „isovac“-Elektrobänder oder „phs-ultraform®“.
Im nächsten Schritt des voestalpine-Stufenplans ist bis 2030 eine Reduktion der CO2-Emissionen um ein Drittel vorgesehen. Dazu wird die bestehende Hochofenroute teilweise durch eine Hybrid-Elektroofenroute ersetzt. Für die Elektroofenroute, mit der zukünftig hochqualitativer Stahl CO2-neutral hergestellt wird, bilden Schrott, flüssiges Roheisen und Eisenschwamm („HBI“) die wichtigsten Vormaterialien.
Damit einher geht ein F&E-Schwerpunkt auf dem Gebiet der Werkstofftechnik. Dieser stellt sicher, dass auch mit einem geänderten Rohstoffmix in Zukunft die geforderten hochwertigen Stahlqualitäten erzeugt werden.
Auch die Langstahl-Lösungen der Metal Engineering Division orientieren sich am Weg der Nachhaltigkeit. Die voestalpine Stahl Donawitz GmbH forscht dazu im Rahmen eines „Green Frontrunner4longsteel“-Projekts intensiv an Simulationsmethoden und Prozessen, die die „grüne Transformation“ vorbereiten und unterstützen. Die Digitalisierung spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle: So sollen etwa „Smart Scrap Sorting“-Methoden in der Zukunft ein „Upcycling“ von niedrigqualitativem Schrott erlauben und dynamische Legierungsmodelle die hohe Produktqualität auch bei geändertem Rohstoffmix gewährleisten.
Parallel dazu forscht der voestalpine-Konzern intensiv an sogenannten „Breakthrough-Technologien“, um langfristig den Einsatz von grünem Wasserstoff in der Stahlerzeugung sukzessive zu erhöhen. Das Ziel ist eine in ihrer Gesamtheit klimaneutrale Stahlproduktion bis 2050.
Alle geplanten Tests an der Wasserstoffelektrolyseanlage wurden erfolgreich absolviert. Die Erzeugung von Wasserstoff mittels Elektrizität in einer Elektrolyseanlage ist ein typischer Anwendungsfall der Sektorenkopplung. Aktuell wird die Anlage am Standort Linz als Regelreserve zur Stromnetzstabilisierung betrieben.
Diverse weiterführende Projekte zum Wasserstoff- und CO2-Management sind gestartet. Untersucht werden etwa die Abscheidung von CO2 mit nachfolgender Speicherung (Carbon Capture and Storage – CCS) oder die Verwendung (Carbon Capture and Utilization – CCU) sowie der Einsatz von Wasserstoff als Reduktionsmittel in metallurgischen Prozessen. Im Rahmen von „SuSteel“ (Sustainable Steel), dem Grundlagenprojekt zur direkten Stahlherstellung mithilfe von Wasserstoffplasma, wurde eine Pilotanlage am Standort Donawitz, Österreich, erfolgreich in Betrieb genommen. Auch in der „Hyfor“-Pilotanlage von Primetals am Standort Donawitz, wo Eisenerz-Feinmaterial mittels Wasserstoff zu Eisenschwamm reduziert wird, ist der Batchbetrieb erfolgreich angelaufen.
Optimierung der Produktionsprozesse
Im Sinne der Operational Excellence durchleuchtet die voestalpine laufend die Produktions- und Verarbeitungsprozesse entlang der Wertschöpfungsketten und entwickelt diese weiter, um noch effizienter und ressourcenschonender zu produzieren. Die Digitalisierung ist dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
In der Entwicklung stehen etwa modellbasierte Regelungen für relevante Prozessabschnitte, die eine signifikante Qualitätsverbesserung des Stahlbandes bei reduziertem Einsatz von Ressourcen ermöglichen.
Die Optimierung der Prozesse erfolgt auch durch Messsysteme, die mit Machine-Learning-Algorithmen ausgestattet werden, um unmittelbar in der Produktionslinie zu messen und zu analysieren. Bereits implementiert sind derartige Systeme etwa zur Korngrößenbestimmung von Einsatzstoffen in den Hochöfen an den Standorten Linz und Donawitz, Österreich, sowie an der Direktreduktionsanlage in Corpus Christi, USA. Auf selbstlernende Systeme stützt sich auch die Qualitätsprüfung von Stahlband oder die Drahtproduktion.
Die metallurgischen Verfahrens- und Umformtechniken von höchstlegierten Edelstählen unterliegen einer laufenden Optimierung, um die Forderung nach höchster Qualität bei gleichzeitig effizienter Produktion zu erfüllen.
In der voestalpine Giesserei ging am Standort Traisen, Österreich, die modernste 3D-Sanddruck-Anlage Europas für Stahlgusskomponenten in Betrieb. Sie bedient vorrangig die Energiebranche sowie den Automotive- und Bahnbereich. Die Sandformen werden mittels 3D-Drucker direkt aus CAD-Daten hergestellt und lösen die bisher verwendeten Holzmodelle ab. Damit können vor allem Formen für komplexe Gussteile wesentlich schneller und konturennaher gefertigt werden, was sich auch in einer wesentlich kürzeren oder entfallenden Endbearbeitung auswirkt. Mit dem Wegfall des Holzmodells, dem integrierten Sandrecycling und reduzierten Logistikaufwänden ist der 3D-Sanddruck wesentlich nachhaltiger und umweltschonender als sein Vorgängerverfahren.
Im Bereich des Metal Additive Manufacturing liegt der Schwerpunkt der Forschung auf der Pulverentwicklung und -verarbeitung neben Services wie Engineering und der Produktion von Werkzeugen und Komponenten.
Die Zukunft des effizienten Einsatzes und Managements von Bahnressourcen liegt in vollständig vernetzten Bahnsystemen. Die voestalpine Railway Systems GmbH arbeitet daher in enger Kooperation mit den ÖBB und weiteren Partnern im Rahmen des Projekts „Rail4Future“ an der Realisierung dieser hochkomplexen Forschungsaufgabe. Simulationen und digitale Systemzwillinge sollen es künftig erlauben, Innovationszyklen neuer Produkte und digitaler Lösungen wesentlich zu verkürzen.
Auch die Entwicklung großer Schmiedeteile für die Luftfahrtindustrie verläuft bei voestalpine BÖHLER Aerospace GmbH nunmehr rein simulationsbasiert und in der Folge mit einem wesentlichen Gewinn an Effizienz.
Im Bereich der Schweißtechnik forscht die voestalpine Böhler Welding Group an umweltfreundlichen Lösungen. Mit ECOspark® wurden kupferfreie Massivdrähte zum Verbindungsschweißen entwickelt, die über ihre herausragende Effizienz bei manuellen und automatischen Schweißprozessen Ressourcen schonen.
Die Metal Forming Division entwickelt die Verarbeitungstechnologien wie Rollformen, Presshärten und Schweißen weiter und optimiert sie mit der Unterstützung von Simulationsmethoden. Das Ziel sind Prozessabläufe, die in ihrer Gesamtheit durchgängig und verlinkt sind. Dafür wird an Closed-Loop-Systemen gearbeitet, sodass mithilfe lernfähiger Algorithmen selbstoptimierte Produktionslinien entstehen. Komplexe und maßgenaue Bauteile für Fahrzeugkabinen, Luftfahrtkomponenten oder Regallager lassen sich per Rollform-Verfahren realisieren.
Innovative Produkte
Nicht die Steigerung der Mengen steht für die voestalpine im Fokus ihrer Innovationsstrategie, sondern wertsteigerndes Wachstum – und zunehmend die Orientierung an Nachhaltigkeit. Der Anspruch ist, innovative Produktlösungen für die Kunden zu entwickeln und im gleichen Zug nachhaltige Qualitäten in der Produkt- und Prozessentwicklung sicherzustellen. Sichtbarkeit und Transparenz dabei gewährleisten definierte Kriterien der Nachhaltigkeit, die an sämtliche F&E-Projekte anzulegen sind.
Um Ideen abseits vom Tagesgeschäft einer genaueren Prüfung zu unterziehen, wurde in der Steel Division der new business incubator eingerichtet. Im Sinne einer „Werkstatt“ lassen sich hier Ideen auf ihre Umsetzbarkeit und ihr Marktpotenzial hin untersuchen sowie geeignete Geschäftsmodelle dafür entwickeln. Ein Ergebnis daraus ist tailored functional steel, ein beschichtetes Stahlband mit integrierter Sensorik für diverse Funktionalitäten. Das Produkt wurde auf der internationalen Fachmesse für Blechbearbeitung, der Blechexpo21 in Stuttgart, präsentiert.
Zu den Produkten, die Kunden Nachhaltigkeitsgewinne eröffnen, zählen die höchstfesten Stähle der Steel Division. Sie reduzieren das Gewicht von Karosseriebauteilen und tragen damit zur Reduktion von Treibstoffverbrauch und Emissionen der Fahrzeuge bei.
Für die Verarbeitung dieser höchstfesten Stähle entwickelt die High Performance Metals Division pulvermetallurgisch hergestellte Werkzeugstähle laufend weiter. Extrem verschleißbeständige Beschichtungen gewährleisten lange Standzeiten der Werkzeuge. Neue Beschichtungen und auch die Anlagen dafür werden in der High Performance Metals Division entwickelt.
Stark an Bedeutung gewinnt die Integration von Sensoren in Bauteilen oder Werkzeugen. Damit lässt sich deren Zustand unmittelbar beobachten und überwachen sowie Schadensfällen durch frühzeitige und gezielte Wartung vorbeugen. Auch in den smarten Weichensystemen der voestalpine Railway Systems sorgt eine intelligente Sensorik für eine ständige Überwachung. Die Entwicklung ist darauf ausgerichtet, drohende Ausfälle rechtzeitig zu erkennen und damit die Sicherheit und Verfügbarkeit der Gleisstrecke zu erhöhen.
In der Business Unit Tubulars wird intensiv an Lösungen zur Speicherung und zum Transport von Wasserstoff geforscht. Die fundierte Kompetenz bei Materialien und Gewinden dient dabei als hervorragende Grundlage zur Entwicklung hochwertiger Produkte für eine nachhaltige Zukunft.