Die Unternehmensstrategie der voestalpine ist auf Innovations-, Technologie- und Qualitätsführerschaft ausgerichtet. Der Forschung und Entwicklung kommt somit eine zentrale Rolle im Geschäftsmodell zu, was sich auch in der kontinuierlichen Steigerung des F&E-Budgets widerspiegelt.
Stahl zählt zu den weltweit am meisten verwendeten Werkstoffen und ist auch in einer nachhaltigen Gesellschaft nicht wegzudenken. Er ist langlebig und immer wieder recycelbar und damit die Basis für moderne Lösungen in der Mobilität und der Energiewirtschaft.
Die beiden großen Themenkomplexe Elektrifizierung im Rahmen der Energiewende und die Künstliche Intelligenz waren dieses Jahr die Inhalte der beiden konzernweiten Veranstaltungen für die Mitarbeitenden in der Forschung und Entwicklung sowie der Digitalisierung.
Am F&E-Tag wurden die relevanten Themen der Elektrifizierung von externen Expert:innen behandelt, von der ganzheitlichen Betrachtung der Energiewende über die Rolle des Wasserstoffs dabei bis hin zu den zukünftigen Entwicklungen der Mobilität.
Das Thema des Digitalisierungstags war Künstliche Intelligenz. Externe Expert:innen gaben einen Überblick über die Positionierung der KI, den Stand der Entwicklung und, welchen Einfluss sie auf die Geschäftstätigkeit haben kann. Ergänzt wurde das Programm von einer Session mit internen Beiträgen zu KI-Anwendungen im voestalpine-Konzern.
Die F&E-Aktivitäten im Konzern folgen der voestalpine-Strategie, die sich an den aktuellen und relevanten Megatrends orientiert. Sie werden in sogenannten priorisierten Innovations-Roadmaps zusammengefasst und decken die folgenden Themen ab.
KLIMANEUTRALE STAHLERZEUGUNG
Ein Schwerpunkt liegt in der Weiterentwicklung des bestehenden Prozesses und der Erforschung und Entwicklung neuer Technologien für eine nachhaltige Stahlproduktion mit dem Ziel der Netto-Null-Emissionen.
Dazu zählen zunächst die Umstellung der Verfahrensroute auf Elektrolichtbogenöfen, das Maximieren der Kreislaufwirtschaft und weiters die Entwicklung der neuen Technologien HYFOR und SuSteel zur Reduktion von Eisenerzen.
Die Umstellung auf die Elektrolichtbogenofenroute stellt eine Herausforderung für die Produktion der hochqualitativen Stahlgüten dar, die z. B. in der Automobilindustrie oder der Walzdrahtherstellung gefordert sind. Ziel ist es, die gleichen Produkte in der gewohnt hohen Qualität wie bisher auch über die Elektrolichtbogenofenroute herstellen zu können.
In Abhängigkeit vom verwendeten Vormaterialeinsatz (Schrott, HBI, Roheisen) können durch die vermehrte Zugabe von Schrott höhere Gehalte von sogenannten Begleitelementen im Stahl auftreten, was einen direkten Einfluss auf die Festigkeit, Duktilität, Härtbarkeit und andere wichtige mechanisch-technologische Eigenschaften im Endprodukt hat. Die F&E beschäftigt sich daher mit der Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Stahlsorte, Vormaterialeinsatzmix und den daraus resultierenden Produkteigenschaften und der Entwicklung von adäquaten metallurgischen Gegensteuerungsmaßnahmen und prognosegesteuerten Prozessanpassungen an den Produktionsanlagen.
Im Rahmen der Kreislaufwirtschaft wird unter anderem an der Optimierung der Verfügbarkeit und Qualität von Schrott gearbeitet. Neue Schrottquellen werden erschlossen, indem geschlossene Kreisläufe mit den Kund:innen etabliert werden. Um die Schrottqualität zu erhöhen, wird an KI-gestützten Schrottsortierverfahren gearbeitet. Die voestalpine ist am Projekt KiRAMET, dem FFG-Leitprojekt für KI-basiertes Recycling von Metallverbund-Abfällen beteiligt.
Um das Ziel der CO2-Neutralität bis 2050 zu erreichen, wird an wasserstoffbasierten Technologien geforscht.
Das Versuchsprogramm von H2FUTURE wurde erfolgreich abgeschlossen, neben der Produktion von grünem Wasserstoff erbringt die Elektrolyseanlage am Standort Linz Netzdienstleistungen durch ihre Teilnahme am Regelenergiemarkt. Das Anschlussprojekt H2-FUTURE-Follow-up wurde gestartet, es umfasst die Planung, Installation und den Betrieb eines Systems zur Verdichtung und Reinigung des im PEM-Elektrolyseur erzeugten Wasserstoffs, der z. B. für die Versorgung von F&E-Pilotanlagen eingesetzt werden kann. Die Inbetriebnahme ist für Mitte 2025 geplant.
Im Forschungsprojekt HYFOR (Hydrogen-Based Fine-Ore Reduction) von Primetals Technologies wurde die Anwendbarkeit des Verfahrens der Feinerzreduktion mittels Wasserstoff bestätigt. In einer Versuchsschmelze im Technikum Metallurgie wurde wasserstoffreduziertes Material aus der HYFOR-Versuchsanlage gemeinsam mit Schrott eingeschmolzen und ein CO2-armer Wälzlagerstahl erzeugt, der den geforderten Qualitätsansprüchen entsprach. Damit konnte bewiesen werden, dass eine HYFOR- bzw. Wasserstoff-generierte Stahlschmelze keinerlei Nachteile beim Vergleich mit Standardmaterial aufweist.
Ein Nachfolgeprojekt für eine Demonstrationsanlage des HYFOR-Prozesses mit kontinuierlichem Betrieb am Standort Linz befindet sich in Vorbereitung.
Im Grundlagenforschungsprojekt SuSteel (Sustainable Steelmaking) wurde die technische Machbarkeit der Herstellung von Rohstahl direkt aus Eisenerz mittels Wasserstoffplasma an der Pilotanlage am Standort Donawitz gezeigt.
METAL ADDITIVE MANUFACTURING
Diese Technologie umfasst die auf den jeweiligen Bedarf zugeschnittene Prozessentwicklung von der Pulverherstellung über die Konstruktion, den eigentlichen Druck und die Nachbearbeitung bis hin zum fertigen Bauteil. Alle Prozessschritte werden von der voestalpine geleistet.
Anwendung findet das Verfahren z. B. in der Entwicklung von Werkzeugreparaturen und Upgrade-Services für Hot Stamping, High Pressure Die Casting und Hot Forming-Anwendungen und stärkt die Position der voestalpine als „Full-Service“-Anbieterin auf diesem Gebiet: Durchgeführt werden Schadensanalyse, 3D-Scanning, Programmierung, Laser Metal Deposition mit geeigneten Füllerwerkstoffen, Bearbeitung und Post-Wärmebehandlung. Die Ergebnisse, wie Wiederverwendung von Werkzeugen durch Reparatur und Designänderung, längere Lebensdauer durch Upgrade via Multimaterialbeschichtung, Ausschussvermeidung und Bedarfsminimierung an Rohmaterial, führen einerseits zu erheblichen Kosteneinsparungen, andererseits liefern sie einen großen Beitrag zur Nachhaltigkeit.
DIGITALISIERUNG
Das Thema der Nachhaltigkeit umfasst unter anderem die F&E-Tätigkeiten zur Steigerung der Ressourcen-, Energie- und generell der Prozesseffizienz, die mithilfe der Digitalisierung bestens unterstützt und weit vorangetrieben wird.
Robuste Sensorik im laufenden Betrieb liefert die Daten für modellbasierte Regelungen. Datenbasierte Algorithmen in Kombination mit Machine Learning und Künstlicher Intelligenz (KI) helfen nicht nur, Prozesse zu optimieren und deren Effizienz und in Folge auch die Produktqualität zu erhöhen, sondern sorgen auch für ein besseres Prozessverständnis als Basis für erfolgreiche Weiterentwicklungen. Die Optimierung der Anlagenverfügbarkeit und der Auslastung sowie der gesamten Prozesskette bedeutet aber gleichzeitig auch eine Reduktion im Energieeinsatz und in der CO2-Belastung.
Optische Systeme werden beispielsweise für KI-basierte Fehlerdetektion in vielen voestalpine-Gesellschaften bereits erfolgreich eingesetzt. Damit können Defekte an der Oberfläche, wie z. B. Risse am Produkt bzw. Bauteil, frühzeitig entdeckt werden.
Mit Hilfe von OCR (Optical Character Recognition), also Algorithmen zur optischen Zeichenerkennung, unterstützt durch Künstliche Intelligenz, können Teile eindeutig identifiziert werden und ihr Weg lässt sich nachverfolgen.
KI wird erfolgreich im Condition Monitoring und bei Anwendungen in der vorausschauenden Wartung eingesetzt. Der Einsatz von KI ist aber nicht nur auf Produktionsprozesse beschränkt, sondern unterstützt auch intelligente Produktlösungen.
Bei der neuesten Weichengeneration wird KI genutzt, um aus den erfassten Daten den jeweiligen Zustand zu beurteilen und zu entscheiden, ob ein Weichenausfall und damit eine Streckensperre droht. Mit hoher Treffsicherheit kann so die einwandfreie Funktion dieses wichtigen Systembestandteils abgesichert bzw. vorausschauend die Wartung in Gang gesetzt werden.
Mit der Visual Train Analysis (VTA), einer kamerabasierten Zustandsanalyse für Waggons in Bewegung, wird deren Zustand laufend automatisiert beurteilt und die Entwicklung der Wagen hinsichtlich relevanter Verschleißteile verfolgt. Derzeit befindet sich eine Pilotanlage für Geschwindigkeiten von bis zu 40 km/h in Prüfung. Die weitere Entwicklung sieht vor, das System auch für Hochgeschwindigkeitszüge tauglich zu machen und weitere Zustandsdaten zu erfassen. Damit wird die Sicherheit im Eisenbahnverkehr erhöht, und die Wartung der Waggons kann vorausschauend geplant werden.
PRODUKTENTWICKLUNGEN
Höchstfeste Stähle werden kontinuierlich weiterentwickelt und an Kundenbedürfnisse angepasst, indem einerseits das Legierungsdesign laufend optimiert wird, um eine verbesserte Schweißeignung des Werkstoffs zu erhalten, andererseits die Fahrweise an den Verzinkungsanlagen optimiert und erweitert wird. Eine hervorragende Qualitätsperformance führte zu weiteren Kundenzulassungen.
Die neue Technologie tailormade functional steel konnte gemeinsam mit einem Kunden an Heizpaneelen bereits erfolgreich umgesetzt werden. Weitere Kundenanwendungen sind in Vorbereitung. Für diese Innovation erhielt die voestalpine Stahl GmbH 2023 den OÖ Innovationspreis.
Darüber hinaus wurde ein Schienenstahl mit optimalem Widerstand gegen die Dellenbildung an der Schienenoberfläche entwickelt. Die Materialzulassung dieses Stahls mit erhöhter Zähigkeit wurde bereits erfolgreich durchgeführt und die Gleistests im Rahmen von Europe’s Rail wurden gestartet.
Für Flugzeugfahrwerke wurden mithilfe der Finite-Elemente-Analyse unter Berücksichtigung der idealen Belastung verschiedene Schmiedeteile aus Titanlegierung entwickelt. Damit gelingt es, den enorm hohen Qualitäts- und Sicherheitsansprüchen zu entsprechen. Auf Basis dessen konnte der Rahmenvertrag mit einem wichtigen Kunden verlängert werden.
Auch im Bereich der Hochregallagersysteme kommt die Finite-Elemente-Analyse in der Bauteilentwicklung und -freigabe zur Anwendung. Für unterschiedliche Automatic Guided Vehicles und Autonomous Mobile Robots konnten Weiterentwicklungen durch modulare Profilsysteme und einheitliche Regalsysteme erfolgreich umgesetzt werden. voestalpine ist in diesem Bereich Kosten-Nutzen-Leader.
Die Entwicklung der Unterkonstruktion für agrivoltaische Anwendungen wie vertikale Solar- und Überdachungsstrukturen z. B. über Obstbäumen führte zur Realisierung einer ersten Pilotanlage mit einem Kunden. Die optimale Nutzung von Land für Landwirtschaft und Energiezwecke mit minimalen Auswirkungen auf den landwirtschaftlichen Ertrag wird in Zusammenarbeit mit einem Forschungszentrum noch überprüft. Ein Patent wurde bereits erteilt.