Das wirtschaftliche Umfeld des Geschäftsjahres 2022/23 war von einschneidenden geopolitischen Entwicklungen und Verwerfungen geprägt. Insbesondere der Einmarsch Russlands in die Ukraine hatte enorme Auswirkungen auf die globale Wirtschaft und die weltweiten Energiemärkte.
Die starken Preisanstiege an den Energie- und Rohstoffmärkten sowie die expansive Geldpolitik der Zentralbanken in den letzten Jahren (insbesondere während der COVID-19-Pandemie) führten zu einem nachhaltigen Anstieg der Inflation in Europa und Nordamerika. Die Zentralbanken in Europa und Nordamerika reagierten spät auf die steigende Inflation, dafür in der Folge umso deutlicher: Die Anhebung der Zinsen erfolgte in so kurzen zeitlichen Abständen wie noch nie in den vergangenen Jahrzehnten.
Ökonom:innen prognostizierten angesichts der massiv gestiegenen Zinsen eine Rezession in Nordamerika und Europa. Das trübte die Stimmungslage in der 2. Hälfte des Geschäftsjahres in diesen Wirtschaftsregionen deutlich ein.
Vor allem der Beginn des Geschäftsjahres 2022/23 war auch noch von der COVID-19-Pandemie beeinflusst. Europa und die USA reagierten auf erneute Infektionswellen mit wenigen oder moderaten Einschränkungen. China hingegen setzte seine rigorose Abschottungspolitik über weite Strecken des Geschäftsjahres fort. Erst gegen Ende des Geschäftsjahres verkündete China eine Abkehr von seiner Null-COVID-19-Politik. Dieser Schritt verursachte massive Infektionswellen und damit weitere Beeinträchtigungen der Wirtschaft im Land.
Europa
Ganz Europa war im Geschäftsjahr 2022/23 von den Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine betroffen. Europa antwortete auf die Aggression Russlands mit umfangreichen handelspolitischen Einschränkungen für die russische Wirtschaft. Der Ukraine-Krieg führte zusätzlich zu massiven Preisanstiegen bei Rohstoffen und auf den Energiemärkten. Gerade in den ersten Monaten waren die Folgen für die europäische Wirtschaft nur schwer absehbar – dadurch entstand eine große Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung.
Die Preisanstiege auf den Energiemärkten waren einer der Hauptgründe für die deutlich erhöhte Inflation zu Beginn des Geschäftsjahres. Weitere Faktoren waren die massiven fiskalpolitischen Unterstützungspakete der europäischen Staaten während der COVID-19-Pandemie und die jahrelange Niedrigzinspolitik. Bewertete die Europäische Zentralbank (EZB) den Inflationsdruck zunächst noch als „vorübergehend“, so änderte sie im weiteren Verlauf ihre Einschätzung: Die EZB begann, die Zinsen in raschen Schritten anzuheben. Der zunächst mäßige Erfolg in der Inflationsdämpfung und die unmissverständliche Kommunikationspolitik der EZB führten im Herbst 2022 zu einer signifikanten Verschlechterung der wirtschaftlichen Stimmung. Prognostiziert wurde ein deutlicher Wirtschaftsabschwung mit einer Rezession im Jahr 2023. Dazu kam es im Zuge der Pleite amerikanischer Banken zu einem massiven Vertrauensverlust in die Schweizer Großbank Credit Suisse, die kurzfristig von der UBS übernommen wurde, um sie vor einer Insolvenz zu bewahren.
Trotz der schlechteren Wirtschaftsprognosen im 3. Geschäftsquartal hat sich die Realwirtschaft bis zum Ende des Geschäftsjahres relativ stabil entwickelt.
In diesem volatilen und insgesamt schwierigen Umfeld war die Nachfrage nach voestalpine-Produkten insgesamt erfreulich. Die starke Dynamik zu Beginn des Geschäftsjahres ließ im weiteren Verlauf allerdings etwas nach – vor allem in der Konsumgüter- und der Bauindustrie. Die Automobilindustrie zeigte sich trotz anhaltender Schwierigkeiten in den globalen Lieferketten stabil. Der Bereich Schienenverkehrsinfrastruktur performte über das gesamte Geschäftsjahr sehr gut. Hervorragend entwickelte sich die Nachfrage im Energiebereich sowohl im konventionellen Sektor als auch bei Produkten für die Solarindustrie.
Nordamerika / USA
Wie Europa hat auch Nordamerika die COVID-19-Infektionswellen zu Beginn des Geschäftsjahres 2022/23 ohne wesentliche Einschränkungen der Wirtschaft bewältigt. Die vollständige Öffnung aller Bereiche des sozialen Lebens befeuerte die Konjunktur. Die hohe Nachfrage und die quasi Vollbeschäftigung schlugen sich jedoch in einer rasch steigenden Inflation nieder. Die US-Notenbank Fed (Federal Reserve) reagierte schneller als ihr europäisches Pendant und hob die Leitzinsen an, um die Inflation einzudämmen. Damit wurde aber auch die wirtschaftliche Dynamik gebremst und die Stimmungslage trübte sich bald ein. Ähnlich wie in Europa gab es Befürchtungen, dass die nordamerikanische Wirtschaft in eine Rezession rutscht. Darüber hinaus bereiteten den Kapitalmärkten die historische Geschwindigkeit und die Höhe der Zinsschritte zunehmend Sorgen. Im letzten Geschäftsquartal kam es tatsächlich zu einem befürchteten Kollateralschaden: Die kalifornische Silicon Valley Bank konnte den hohen Wertverlust ihres Anleiheportfolios nicht mehr auffangen und rutschte in die Insolvenz. Um Dominoeffekte im Bankensystem und einen „bank run“ zu verhindern, musste die US-Regierung die Einlagensicherung deutlich über das regulatorische Maß hinaus erhöhen. Trotz dieser sofort umgesetzten Maßnahmen schlitterten noch zwei kleinere, lokale Banken in die Insolvenz.
Die gesamtwirtschaftliche Stimmung in Nordamerika war zu Ende des Geschäftsjahres 2022/23 neben der Bankenkrise vom Dilemma der Zentralbanken geprägt: Werden die Zinsen weiter erhöht, um die Inflation zu senken, besteht die Gefahr, die Wirtschaft deutlich zu schädigen.
Trotz dieses Umfelds entwickelte sich das Nordamerika-Geschäft des voestalpine-Konzerns durchaus erfreulich. Die Nachfrage in den Bereichen Eisenbahninfrastruktur und Lagertechnik war über weite Strecken sehr zufriedenstellend. Das Energiesegment verzeichnete einen regelrechten Boom. Erst gegen Ende der Berichtsperiode wurde aufgrund der Entwicklung im Bankensektor eine gewisse Zurückhaltung in einigen Marktsegmenten spürbar.
Brasilien / Südamerika
Brasilien ist, anders als Europa und Nordamerika, schon seit längerer Zeit mit hoher Inflation und hohen Zinsen konfrontiert. Trotzdem war die Entwicklung der Wirtschaft im Geschäftsjahr 2022/23 klar positiv. Sowohl die Binnenkonjunktur als auch Exporte zeigten sich auf gutem Niveau. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Oktober 2022 wurden großzügige Unterstützungs- und Fördermaßnahmen umgesetzt – das stimulierte die lokale Nachfrage vor allem in den ersten sechs Monaten des Geschäftsjahres. Der Wechsel der Regierung brachte eine gewisse Unsicherheit mit sich, hatte aber bislang keine wesentliche wirtschaftliche Abkühlung zur Folge.
In diesem Umfeld haben die brasilianischen Standorte des voestalpine-Konzerns durchwegs gut performt. Die Grundlage dafür bildeten der Boom der Solarindustrie in Brasilien und die international hohe Nachfrage nach Produkten für die Energieindustrie.
China / Asien
Die Wirtschaftsentwicklung in China war in den ersten drei Quartalen des Geschäftsjahres 2022/23 von der strikten Null-Covid-19-Politik beeinträchtigt. Zeitweise kamen die wirtschaftlichen Aktivitäten in ganzen Regionen des Landes zum Erliegen. Die Konsequenzen waren ein deutlich gebremstes Wachstum in China und Unterbrechungen der globalen Lieferketten, die vor allem Europa und Nordamerika vor immense Herausforderungen stellten. Ein zweiter dämpfender Faktor für die chinesische Wirtschaft waren die anhaltenden Probleme im Immobiliensektor.
Erst gegen Ende des 3. Geschäftsquartals vollzog die chinesische Zentralregierung eine 180-Grad-Wende und beendete alle COVID-19-Schutzmaßnahmen. Die plötzliche Öffnung des sozialen Lebens hatte im letzten Geschäftsquartal eine massive Infektionswelle und damit eine neuerliche Belastung für die Wirtschaft zur Folge. Erst nach den chinesischen Neujahrsfeiern Ende Jänner/Anfang Februar begann die wirtschaftliche Dynamik anzuziehen.
Die chinesischen Standorte des voestalpine-Konzerns waren von dieser Entwicklung in unterschiedlicher Intensität betroffen. So verlief etwa die Herstellung von Automobilkomponenten über das gesamte Geschäftsjahr weitgehend ungestört auf solidem Niveau. Projekte im Eisenbahninfrastrukturbereich hingegen wurden zeitweise unterbrochen, und auch der Bereich Werkzeugstahl wurde wiederholt von Lockdowns in Mitleidenschaft gezogen. Gegen Ende des Geschäftsjahres verbesserte sich die Nachfrage in allen wesentlichen Marktsegmenten.