Politisches Umfeld
Die politischen Ziele auf EU-Ebene (Reduktion der CO2-Emissionen um mindestens 55 % bis 2030, Klimaneutralität bis 2050) als auch in Österreich (Klimaneutralität bereits bis 2040) stehen zwar seit geraumer Zeit fest, die wesentlichen konkreten Rahmenbedingungen zur Erreichung der ambitionierten Vorgaben sind allerdings gegenwärtig noch immer in Diskussion bzw. in Erstellung. Die ausführliche Darstellung des politischen Umfelds im Corporate Responsibility Report 2021 (S. 36) ist somit unverändert gültig.
Weder beim EU-Legislativpaket „Fit for 55“ zur Umsetzung des „Green Deal“ (etwa Revision des Emissionshandels oder Einführung eines damit verbundenen CO2-Grenzausgleichmechanismus) noch auf nationaler Ebene wurden im Berichtszeitraum substanzielle Fortschritte erzielt. In Österreich betrifft das den seit Herbst 2020 diskutierten Transformationsfonds für energieintensive Industrien oder auch standortpolitische Strategien zur Verbindung von Klima- und Industriepolitik. Diese und andere Materien, wie etwa eine Wasserstoffstrategie, sind jedoch zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts für baldige Beschlussfassung vorgesehen.
Die Stahlbranche und andere energieintensive Industrien fordern daher ein koordiniertes Gesamtkonzept sowohl auf Ebene der EU als auch der einzelnen Mitgliedsstaaten ein, das die Erreichung der Klimaneutralität unterstützt und auch folgende Fragen beantwortet, die für den Fortbestand der betroffenen Industrieunternehmen im globalen Wettbewerb existenziell sind:
- Wie lässt sich erneuerbare Energie in den erforderlichen Mengen erzeugen und zu den Bedarfsträgern transportieren?
- Woher kommen Ökostrom und grüner Wasserstoff in den benötigten Mengen und zu wettbewerbsfähigen Preisen?
- Wie wird die unterbrechungsfreie Versorgung gewährleistet? Welche Infrastruktur wird zur Bereitstellung, Übertragung und Speicherung benötigt und aufgebaut?
- Wie werden die Unternehmen in der Transformation bei Investitions- und absehbar höheren Betriebskosten konkret unterstützt, etwa durch zweckgebundene Rückführung von Versteigerungserlösen aus CO2-Zertifikaten in ausreichend dotierte europäische und nationale Dekarbonisierungsfonds?
- Wie kann „Carbon Leakage“ – die Standortverlagerung aus der EU in Regionen mit weniger strengen Klimaschutzvorgaben – vermieden werden?
EU-Emissionshandel
Funktionsweise und Intention des EU-Emissionshandels wurden in den vergangenen CR-Berichten bereits ausführlich beschrieben. Der Zukaufsbedarf des voestalpine-Konzerns ergibt sich aus dem gesamten Bedarf an Emissionszertifikaten abzüglich der zugeteilten Freizertifikate. Er lag im Geschäftsjahr 2021/22, wie bereits im Schnitt der Vorjahre, bei rund einem Drittel der gesamten CO2-Emissionen. Im Berichtszeitraum hat sich der CO2-Preis nahezu verdoppelt und zu einer entsprechend gestiegenen ergebniswirksamen Kostenbelastung des voestalpine-Konzerns geführt. Die Pläne der EU-Kommission, die von weiten Teilen des EU-Parlaments unterstützt werden, sehen ab 2026 in Verbindung mit der Einführung eines CO2-Grenzausgleichs (Carbon Border Adjustment; CBAM) eine weitere markante Reduzierung der Zertifikatmenge sowie der frei zugeteilten Emissionsrechte vor. Damit werden auch die Kosten für den Zukauf exorbitant steigen. Werden diese Mittel nicht zweckgebunden in die Unternehmen rückgeführt, um daraus die Technologieumstellung auf langfristig CO2-freie Produktion zu finanzieren, stehen sie den Betrieben auch nicht für Klimaschutzinvestitionen zur Verfügung.
greentec steel: Der voestalpine-Plan zur Klimaneutralität
Der voestalpine-Konzern hat seine Strategien zur Erreichung der Klimaneutralität im vergangenen Jahr weiter konkretisiert und vorangetrieben.
Die voestalpine hat mit greentec steel einen ambitionierten Stufenplan entwickelt, um ihren Beitrag zur Erreichung der globalen Klimaziele zu leisten.
Das Konzept sieht im ersten Schritt – vorbehaltlich wirtschaftlicher Darstellbarkeit – den sukzessiven Umstieg von der kohlebasierten Hochofenroute auf eine grünstrombetriebene Elektrolichtbogenofen-Technologie vor. Bereits Anfang 2027 können je ein Elektrolichtbogenofen an den österreichischen Standorten Linz und Donawitz in Betrieb genommen werden. Die geplante Produktionskapazität wird rund 2,5 Mio. t pro Jahr betragen (davon 1,6 Mio. t in Linz und 900.000 t in Donawitz).
Der Aufsichtsrat der voestalpine AG hat im März 2022 die ersten Umsetzungsschritte im Volumen eines dreistelligen Millionenbetrags genehmigt. Die Freimachung der notwendigen Baufelder und infrastrukturelle Umbauarbeiten können somit umgehend beginnen. Im Frühjahr 2023 wird der Aufsichtsrat über die finale Investitionsfreigabe für die beiden Elektrolichtbogenöfen entscheiden, sodass 2024 mit dem Bau der Aggregate begonnen werden könnte. Ein dafür erforderlicher Meilenstein ist die Inbetriebnahme einer 220-kV-Stromleitung in Linz bis spätestens Ende 2026.
Allein durch diesen ersten Umstellungsschritt können die CO2-Emissionen der Stahlproduktion an den beiden österreichischen Standorten um rund 30 % verringert werden, was einer Einsparung von rund 3 bis 4 Mio. t pro Jahr oder fast 5 % der gesamten aktuellen CO2-Emissionen Österreichs entspricht. Mit einem innovativen Rohstoffmix aus flüssigem Roheisen, Eisenschwamm und Schrott sowie intelligenter Prozessführung können trotz Technologieumstellung die Produktqualitäten so hoch wie bisher gehalten werden. Das Konzept greentec steel ist zugleich die Basis für die langfristige Wasserstoffmetallurgie.
Zusätzlich hat die voestalpine einen großtechnisch realisierbaren Prozess zur Unterstützung einer CO2-neutralen Stahlproduktion ohne den Einsatz von fossilem Kohlenstoff entwickelt und dafür das Schutzrecht vom Europäischen Patentamt erhalten. Das Patent gilt in allen wesentlichen Stahl produzierenden europäischen Ländern und umfasst die Herstellung von Eisenschwamm im Direktreduktionsprozess mithilfe von grünem Wasserstoff und Biogas.
Bis 2050 strebt die voestalpine eine CO2-neutrale Stahlproduktion durch Weiterentwicklung von greentec steel in Richtung von grünem Wasserstoff an. Eine Reihe umfangreicher Forschungs- und Entwicklungsprojekte widmet sich dieser Technologie (siehe auch Kapitel „Forschung und Entwicklung“). Dazu zählen die Wasserstoffpilotanlage „H2FUTURE“ am Standort Linz, die Versuchsanlage in Donawitz („SuSteel“) zur nachhaltigen Stahlherstellung in einem Prozessschritt aus Eisenerz mithilfe von Wasserstoffplasma und das ebenfalls in Donawitz betriebene Projekt „Hyfor“ zur Reduktion von ultrafeinen Eisenerzen mithife von Wasserstoff.
Die Transformation von fossilen zu ökostrom- bzw. langfristig wasserstoffbasierten Technologien erfordert neben hohen Investitionen auch ein Mehr an erneuerbarer Energie. Bereits der erste Schritt der Elektrolichtbogenöfen reduziert den Anteil von Kohle und Koks im Energiemix zugunsten von elektrischer Energie. Der Betrieb von zwei Elektroöfen würde zu einem zusätzlichen Bedarf an Fremdstrom von rund 2 TWh pro Jahr führen. Derzeit kauft der voestalpine-Konzern nur rund 1,2 TWh an externem Strom zu. Der weitaus überwiegende Teil wird durch Umwandlung fossiler Prozessgase zu Strom in werkseigenen Kraftwerken selbst produziert (siehe auch Kapitel „Energie“).
Der langfristig angestrebte vollständige Ersatz von Kohlenstoff durch Wasserstoff würde den Strombedarf auf rund 33 TWh erhöhen. Davon sind 27 TWh für Elektrolyse und den Betrieb der Grünstahlproduktion erforderlich, weitere 6 TWh für die nachgeschaltete Prozesskette der Weiterverarbeitung und für die Infrastruktur.
Allein für den ersten Schritt der Elektrifizierung werden Investitionskosten von rund 1 Mrd. EUR veranschlagt. Zudem ist – jedenfalls in der Einführungsphase CO2-reduzierter Stahlproduktion – mit höheren Betriebskosten im Vergleich zu heutigen Verfahren zu rechnen. Die voestalpine hat die erste Stufe ihres Konzepts greentec steel daher beim EU-ETS-Innovationsfonds eingereicht, der ausgewählte innovative, großindustrielle Transformationsinstrumente finanziell unterstützt, und ist seit geraumer Zeit mit der österreichischen Politik in Gesprächen über nationale Instrumente der Investitions- und Betriebskostenunterstützung.
Grundvoraussetzungen für die tatsächliche Realisierbarkeit von Transformationskonzepten sind, wie bereits dargestellt, die Verfügbarkeit grüner Energie zu EU-weit wie auch global wettbewerbsfähigen Preisen, eine gesicherte, stabile Versorgung und ein ausreichender Investitionsspielraum für die Stahlindustrie. Unverändert kritisch sieht die voestalpine daher die EU-Pläne zum Auslaufen der an Benchmarks orientierten Freizuteilung: Ausgerechnet im für die Dekarbonisierung wichtigen Zeitraum bis 2030 wäre dies in Verbindung mit der Einführung eines experimentellen Grenzausgleichs kontraproduktiv.
Parallel zur Vorbereitung einer fundamentalen Technologieumstellung setzte die voestalpine im Geschäftsjahr 2021/22 weitere, sofort wirksame Maßnahmen für Klimaschutz und Ressourceneffizienz. Seit Ende 2021 kann der erste CO2-reduzierte Stahl ausgeliefert werden. Dank eines erhöhten Ökostrom-Anteils und eines innovativen Rohstoffmixes, der durch Anpassungen der Reduktionsmittel und des Möllers sowie durch die Maximierung des Schrottanteils erreicht wird, weist die „greentec steel“-Edition einen um rund 10 % reduzierten Carbon Footprint auf. Das Konzept wird künftig auf weitere Produktgruppen der Steel Division ausgeweitet. Mit der konzernweiten Errichtung von Photovoltaik-Anlagen wurde zudem ein großer Schritt zum weiteren Ausbau der Eigenversorgung mit Ökostrom gesetzt. (Siehe dazu auch „Umweltinvestitionen“)