Online Geschäftsbericht   
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Brief des Vorstandes


Sehr geehrte Damen und Herren, (Handschrift)

hinter dem voestalpine-Konzern liegt – so wie für viele andere Unternehmen auch – das härteste und schwierigste Geschäftsjahr seit vielen Jahrzehnten. Gleich zu Beginn mit einer wirtschaftlichen Situation konfrontiert, in der nicht einmal die Entwicklung der nächsten Wochen, ja Tage absehbar war, sind wir heute – zwölf Monate später – um viele Erfahrungen reicher und freuen uns darüber, dass wir es gemeinsam mit unseren Mitarbeitern, Kunden und Aktionären geschafft haben, diese Herausforderung erfolgreich zu meistern.

Mit dem Abstand von 18 Monaten ergibt ein Rückblick in den Herbst 2008, als für die Industrie gleichsam über Nacht die heile Welt einer sechsjährigen Boomphase zusammengebrochen ist, aus der Sicht unseres Konzerns folgende Erkenntnisse: Nach einer Schrecksekunde, die es brauchte, um die Vorgänge überhaupt einmal zu begreifen, wurden gegen Ende des Jahres 2008 all jene Schritte eingeleitet und vor allem auch mit größter Konsequenz umgesetzt, die uns in weiterer Folge das Geschäftsjahr 2009/10 letztlich doch durchaus erfolgreich bewältigen ließen.

Da waren zunächst die umfangreichen Maßnahmen auf der Kostenseite: Im Personalbereich der Abbau von Überstunden, Zeitguthaben, Urlauben und letztlich – in Anbetracht der Krise leider ebenfalls unvermeidlich – die Verringerung sowohl von Leasing- als auch Stammmitarbeitern um insgesamt rund 10 %; im Bereich der Investitionen das Streichen von annähernd der Hälfte aller Vorhaben, sodass der Investitionsaufwand erstmals seit Jahrzehnten unterhalb des Wertes der Abschreibungen lag, und schließlich im Bereich von Overheads und Instandhaltung eine Reduktion des Aufwands um rund 30 %.

In Zeiten von Kapital- und Finanzmarktkrisen kommt der ausreichenden Verfügbarkeit liquider Mittel im Unternehmen existenzielle Bedeutung zu: Über ein ausgefeiltes Working Capital-Management hat der Konzern neben einer massiven Optimierung von Forderungen und Verbindlichkeiten vor allem seine Bestände einer umfassenden Neudefinition unterzogen und sie nachhaltig (!) um rund 35 % abgebaut.

Generell wurde die Krise darüber hinaus zum Anlass genommen, in allen Divisionen nicht nur die Kosten, sondern auch die Strukturen, die Organisation und die Abläufe einer grundlegenden Prüfung und – wo erforderlich – in der Folge einer Neuausrichtung zu unterziehen.

Das Geschäftsjahr 2009/10 war von der umfassenden und konsequenten Umsetzung all dieser schon gegen Ende des vorangegangenen Geschäftsjahres eingeleiteten Maßnahmen geprägt. Die in diesem Geschäftsbericht detailliert dargestellten Ergebnisse dieser Umsetzung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Vor allem bedingt durch den Abbau des Working Capital um annähernd 900 Mio. EUR, eine Halbierung des Investitionsaufwands gegenüber dem Vorjahr und durch umfassende Sparmaßnahmen in den Bereichen Personal, Instandhaltung und Overheads konnte trotz des stärksten Konjunktureinbruchs der letzten 60 Jahre mit erstmals über 1 Mrd. EUR der höchste Free Cash Flow in der Geschichte unseres Unternehmens erzielt werden. Damit wurde bei konstant gebliebenen Eigenmitteln eine Verringerung der Verschuldung um mehr als 700 Mio. EUR bzw. eine Reduktion der Gearing Ratio von fast 90 % auf etwas über 70 % möglich.

So umfassend in allen Bereichen des Konzerns auf die Krise reagiert wurde, so sehr galt dies im Interesse der langfristigen Sicherung von Qualitäts- und Technologieführerschaft in drei Bereichen nur mit Einschränkungen: Zum einen wurden weder bei Forschung und Entwicklung noch bei Investitionen strategisch wichtige Vorhaben gekürzt und zum anderen blieb auch die Anzahl der Lehrlinge bzw. der in Ausbildung befindlichen Facharbeiter weitgehend unverändert.

Als Konsequenz aus den massiven Einsparungsmaßnahmen in allen übrigen Bereichen und auf allen Ebenen des Konzerns wurden EBITDA- und EBIT-Break-even deutlich nach unten verschoben. Die voestalpine AG konnte damit trotz des äußerst schwierigen konjunkturellen Umfelds 2009/10 mit einer EBITDA-Marge von 11,7 % bzw. einer EBIT-Marge von 4,1 % operativ klar positiv abschließen und blieb darüber hinaus auch in allen anderen Ergebniskategorien deutlich in den schwarzen Zahlen.

Im Hinblick auf die umfassende Neuordnung der beiden größten Divisionen Stahl und Edelstahl, aber auch auf die weitere Forcierung der Kosteneinsparungsprogramme in den drei übrigen Divisionen ist davon auszugehen, dass der Konzern in den beiden kommenden Geschäftsjahren seine Wettbewerbsposition nochmals erheblich verbessern wird. 2012/13 sollte sich die Kostenposition gegenüber 2008/09 dauerhaft um rund 600 Mio. EUR verbessert haben, wovon im abgelaufenen Geschäftsjahr 2009/10 erst rund 150 Mio. EUR wirksam wurden. Ziel ist letztlich das Erreichen der europäischen Kostenführerschaft in allen für den Konzern wichtigen Produktbereichen. Unabhängig davon wird im Sinne des Unternehmensanspruchs „einen Schritt voraus“ konsequent am weiteren Ausbau der Technologie- und Qualitätsführerschaft gearbeitet. Dies nicht nur, um im ständig härter werdenden Wettbewerb langfristig erfolgreich zu bestehen, sondern auch um der zunehmenden Herausforderung durch andere Werkstoffe wirkungsvoll begegnen zu können. Wir nehmen diese Herausforderung sehr ernst, sehen ihr aber doch mit einer gewissen Gelassenheit entgegen, da Stahl auch in Zukunft nicht nur der weltweit wichtigste Werkstoff bleiben wird, sondern seine Potenziale auf Grund der vielseitigen Einsatzmöglichkeiten und der Chancen, die er in sich birgt, noch lange nicht ausgeschöpft sind. Weiters ergibt jede seriöse Lifecycle-Betrachtung, dass Stahl auch umweltfreundlicher und energieeffizienter als alle anderen metallischen Werkstoffe, aber auch als Kunststoff ist. Die Stahlindustrie wird dieser Tatsache im Wettbewerb der Grundwerkstoffe künftig wohl deutlich mehr Nachdruck verleihen müssen als bisher.

In diesem Zusammenhang auch ein Wort zur europäischen Politik in Sachen Klimaschutz: Trotz zunehmender Bedenken von immer mehr seriösen Wissenschaftern an der ständigen Wiederholung der Geschichte vom CO2 als weitgehend alleinigem Verursacher der Erderwärmung und trotz sich verstärkender Kritik an der wissenschaftlichen Professionalität des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) glaubt die europäische Politik, ihre Vorreiterrolle in Bezug auf die Eindämmung der CO2-Emissionen ohne Rücksicht auf immer stärker wachsende Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Haltung weiterführen zu müssen. Sollte die Europäische Union ihre Position nochmals ohne verbindlichen globalen Gleichklang der klimapolitischen Maßnahmen verschärfen, wird die energieintensive Industrie aus Gründen mangelnder Konkurrenzfähigkeit gezwungen sein, aus Europa in weniger „klimasensible“ Regionen abzuwandern. In der Folge gilt dies auch für die von ihr abhängigen nachgelagerten Industrie- und Dienstleistungsbereiche. Für den globalen Klimaschutz würde die Schließung vieler der – im weltweiten Vergleich anerkanntermaßen umweltfreundlichsten – europäischen Industriestandorte einen Rückfall um Jahrzehnte darstellen, für Europa würde sie den Verlust der Basis seines Wohlstandes und von Millionen von Arbeitsplätzen bedeuten.

Die voestalpine AG und ihr Management haben in den beiden vergangenen Jahren bewiesen, rasch und konsequent auf Veränderungen im Umfeld des Konzerns zu reagieren. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Gemeinsam mit unseren Mitarbeitern, Kunden und Aktionären werden wir neue Entwicklungen – wo und wann auch immer – stets als Chance begreifen, um unser Unternehmen noch stärker zu machen, ganz im Sinne von „einen Schritt voraus“.

Linz, im Mai 2010

Der Vorstand

Wolfgang Eder

Robert Ottel

Franz Hirschmanner

Claus J. Raidl

Josef Mülner

Wolfgang Spreitzer